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Wenn Sauberkeit schmutzig macht

Wenn Sauberkeit schmutzig macht

Wenn Sauberkeit schmutzig macht

Wie unsere Haushaltsreiniger Flüsse, Seen und Grundwasser überlasten

Wer die Waschmaschine startet, den Badreiniger versprüht oder schnell ein Küchentuch mit Putzmittel tränkt, will es hygienisch haben. Doch mit jedem Tropfen gelangen chemische Stoffe ins Abwasser, die Kläranlagen nur zum Teil herausfiltern können. In Deutschland, Österreich und der Schweiz summieren sich allein die häuslichen Einträge inzwischen auf mehrere Hunderttausend Tonnen Detergentien pro Jahr. Die Folge ist eine zunehmende Belastung von Gewässern und Böden, deren Ausmaß vielen bislang verborgen bleibt.

Was steckt in modernen Reinigern?

Das Herz fast jedes Wasch- oder Reinigungsmittels sind Tenside. Sie besitzen einen fettliebenden und einen wasserliebenden Molekülteil, verbinden also Fett mit Wasser und lösen Schmutz. Damit sie in hartem Leitungswasser funktionieren, enthalten die meisten Produkte sogenannte Komplexbildner, häufig Phosphonate oder Citrate. Hinzu kommen Duftstoffe, Konservierungsmittel, Bleichmittel, optische Aufheller sowie in manchen Fällen Mikro- und Nanoplastik, das für Schaum oder glänzende Oberflächen sorgt. Besonders hartnäckig sind fluorierte Verbindungen, besser bekannt als PFAS. Diese „Ewigkeitschemikalien“ werden wasser- und fettabweisend eingesetzt – zum Beispiel, damit das Waschmittel keine Klumpen bildet oder Textilien knitterfrei bleiben.

Von der Kanalisation in die Natur

Wasch-, Spül- und Putzmittel landen nach Gebrauch zunächst in der kommunalen Kläranlage. Dort sorgen physikalische, biologische und chemische Reinigungsstufen dafür, dass Schwebstoffe, leicht abbaubare Organik und ein Teil der Nährstoffe entfernt werden. Für viele Spurenstoffe reicht das aber nicht. Tenside werden zwar zum großen Teil biologisch abgebaut, doch nicht restlos. Komplexbildner passieren die Becken oft unverändert. Noch problematischer sind PFAS und bestimmte Konservierungs- oder Duftstoffe, die durch ihre besondere Stabilität selbst Ozon, Aktivkohle oder Membranfiltration widerstehen.

Verlässt das Ablaufwasser die Anlage, trifft es auf Flüsse und Seen. Gerade im Sommer, wenn Pegelstände sinken und sich der Anteil geklärten Abwassers im Fließgewässer erhöht, steigen die Konzentrationen spürbar an. Studien an der Ruhr, der Donau und der Limmat zeigen regelmäßig Spitzenwerte direkt unterhalb von Klärwerksauslässen. Im Sediment nachweisbar sind die Substanzen noch viele Kilometer flussabwärts.

Biologische Folgen

Tenside können die Kiemenoberfläche von Fischen beschädigen, indem sie die schützende Schleimschicht ablösen und so das Eindringen von Krankheitserregern erleichtern. Gleichzeitig greifen sie Algen an, die als Basis der Nahrungspyramide dienen. Wird die Photosyntheseleistung geschwächt, sinkt nicht nur die Sauerstoffproduktion, sondern auch das Nahrungsangebot für wirbellose Tiere.

Ein besonderer Problembär ist der Komplexbildner DTPMP. In den letzten Jahren haben Laborversuche gezeigt, dass er sich unter den Bedingungen einer Kläranlage zu Glyphosat zersetzen kann. Damit gelangt ein anerkanntes Totalherbizid kontinuierlich in Gewässer, ohne dass es jemals auf ein Feld ausgebracht wurde. Algen und Wasserpflanzen reagieren empfindlich; bei höheren Konzentrationen können ganze Makrophytenbestände absterben, was wiederum Lebensraum für Kleinfische und Insektenlarven vernichtet.

PFAS reichern sich indes in Boden, Sediment und letztlich auch im menschlichen Körper an. Bei Fischen aus dem Bodensee und dem Rhein wurden Konzentrationen gemessen, die bei häufigerem Verzehr oberhalb der empfohlenen Toleranzschwelle liegen. Da PFAS praktisch nicht abgebaut werden, nimmt die Belastung langfristig zu – selbst dann, wenn morgen niemand mehr solche Chemikalien verwenden würde.

Irreversible Schäden

Manches lässt sich rückgängig machen: Wird der Phosphateintrag reduziert, kann ein zuvor „veralgter“ See sich über Jahre regenerieren. Doch PFAS, Mikroplastik und chemisch entstandenes Glyphosat sind Dauerlasten. PFAS binden sich fest an Bodenpartikel und sickern gleichzeitig ins Grundwasser. Selbst modernste Aktivkohle- oder Ionenaustauscheranlagen können sie nur herausfiltern, müssen das belastete Filtermaterial anschließend aber als Sondermüll entsorgen. Das kostet viel Geld und Energie. Mikro- und Nanoplastik wiederum zersetzt sich weiter zu immer kleineren Partikeln, bis es in Zellen und Gewebe eindringt. Einmal verteilt, ist es praktisch unmöglich, die Teilchen gezielt wieder einzusammeln.

Ländervergleich: Deutschland, Österreich, Schweiz

Deutschland betreibt über 9 000 kommunale Kläranlagen. Viele davon bekommen derzeit eine zusätzliche „vierte Reinigungsstufe“, die Ozonung oder Aktivkohle einschließt. Allerdings fehlt für einen flächendeckenden Ausbau bislang eine feste Finanzierungsgrundlage, und kleinere Anlagen bleiben zurück. Gleichzeitig wächst der Reinigungsmittelmarkt jährlich um rund zwei Prozent, was die Fortschritte teilweise wieder aufzehrt.

Österreich ist Spitzenreiter bei der Anschlussquote: Mehr als 96 Prozent der Bevölkerung sind an eine Kläranlage angebunden. Dennoch gelangen Spurenstoffe ins Donau-Einzugsgebiet, denn auch hier sind die konventionellen Anlagen nicht auf PFAS oder Komplexbildner ausgelegt. Seit 2023 diskutiert die Regierung strengere Grenzwerte und einen nationalen PFAS-Monitoringplan.

Die Schweiz hat 2016 begonnen, ausgewählte Klärwerke mit einer „Mikroverunreinigungen-Stufe“ auszurüsten, finanziert über eine bundesweite Abwasserabgabe. Bis 2040 sollen drei Viertel aller Anlagen nachgerüstet sein. Erste Ergebnisse zeigen eine deutliche Abnahme bestimmter Medikamente und Industrieverbindungen. Trotzdem weisen Grundwassermessstellen mittlerweile in fast der Hälfte der Proben PFAS nach. Das alpine Relief trägt dazu bei, dass belastetes Schmelzwasser in tiefe Talböden sickert, wo es nur schwer erreicht werden kann.

Was Haushalte sofort ändern können

Die einfachste Stellschraube ist die Dosierung. Denn moderne Waschmittel sind hochkonzentriert; jede zweite Packung enthält eine Messhilfe, die aber kaum verwendet wird. Wer die Menge halbiert, erlebt meist keinen Unterschied in der Waschwirkung, halbiert aber den Chemieeintrag. Gänzlich verzichten ließe sich auf Weichspüler, dessen einziger Zweck in der Parfümierung und dem Gefühl „weich“ besteht. Auch die Entscheidung für Pulver statt Flüssigwaschmittel senkt den Anteil an Konservierungsmitteln und löslichen Kunststoffen.

Öko-Label wie der Blaue Engel, das EU-Ecolabel oder das Schweizer Umweltzeichen helfen, Produkte mit strengen Ökotox-Kriterien zu wählen. Hier müssen Tenside leicht biologisch abbaubar sein, Phosphonate sind verboten oder stark limitiert, und PFAS dürfen gar nicht vorkommen. Ein weiterer Schritt wäre die Rückkehr zu klassischen Reinigungsbasics: Ein Vollwaschmittel, ein Colorprodukt und ein Feinwaschmittel decken fast alle Bedürfnisse ab; separate Flecken-Sticks oder Hygienespüler sind in typischen Haushalten überflüssig.

Politische und technische Lösungswege

Selbst wenn alle Konsumentinnen und Konsumenten ihr Verhalten umstellen, bleiben industrielle Einträge, Krankenhausabwässer und Regenüberläufe bestehen. Deshalb brauchen die Wasserwerke zusätzliche Technik. Aktivkohle bindet viele organische Spurenstoffe, ist aber energieintensiv und muss regelmäßig regeneriert oder ersetzt werden. Die Ozonung kann Tenside und Duftstoffe aufbrechen, erzeugt dabei jedoch Reaktionsnebenprodukte, die teilweise toxischer sind als der Ausgangsstoff. Membranverfahren bieten eine sehr hohe Rückhaltung, verursachen allerdings enorme Betriebskosten und eine schmutzwasserreiche Konzentrationsphase.

Auf regulatorischer Ebene diskutiert die EU eine umfassende Chemikalienstrategie: PFAS sollen bis 2030 weitgehend verboten werden. Deutschland unterstützt das Vorhaben, Österreich und die Schweiz haben eigene Aktionspläne angekündigt. Entscheidend wird sein, wie rasch Ersatzstoffe zur Verfügung stehen und ob diese tatsächlich weniger problematisch sind. Ohne klare Vorgaben besteht die Gefahr, dass lediglich „PFAS-freie“ Etiketten entstehen, während ähnlich persistente Verbindungen nachrücken.

Blick nach vorn

Die Überbelastung unserer Gewässer mit Wasch- und Reinigungsmittelrückständen ist kein Nischenproblem mehr. Was als unsichtbarer Chemiecocktail im Ablauf der Kläranlage beginnt, gefährdet langfristig Fische, Vögel, Böden und letztlich auch unsere Gesundheit. Einige Schäden – etwa PFAS-Verseuchungen in tiefen Grundwasserschichten – lassen sich de facto nicht mehr beseitigen. Andere, wie Eutrophierung durch Phosphate oder Schädigungen der Fischhaut durch Tenside, können mit konsequenten Maßnahmen deutlich reduziert werden.

Damit das gelingt, müssen Politik, Industrie und Haushalte zusammenarbeiten: strengere gesetzliche Grenzwerte, ökologisch orientierte Produktdesigns und bewusster Konsum. Wer den Dosierlöffel halb voll macht, wäscht nicht halb so sauber – aber er schickt nur die Hälfte der Chemikalien auf den langen Weg durch Kläranlage, Fluss und Trinkwasserfassung. Und jede gesparte Waschladung ist ein Schritt, die Natur hinter unserer Haustür ein wenig sauberer zu halten, ohne ihr den Preis unserer Sauberkeit aufzubürden.