Drahtseilakt mit dem Drachen – Wie Peking in der Schweiz um Einfluss, Geld und Meinung ringt
Seit sie die Volksrepublik China 1950 als eines der ersten westlichen Länder anerkannte, hat sich die Schweiz vom diskreten Handelspartner zum strategischen Ziel chinesischer Einflussarbeit entwickelt. Während Bundesräte nach Peking reisen, kartiert die Kommunistische Partei jedes Schlupfloch, um die direktdemokratische Alpenrepublik in ihrem Sinn zu formen. Dieser Text zeigt, welche Summen, Methoden und Akteure Peking dabei einsetzt – und warum gerade die kleine Schweiz zum Versuchslabor für chinesische Machtprojektion in Europa wurde.
Vom diplomatischen Mauerblümchen zum strategischen Ziel
Der Wandel begann mit Chinas WTO‑Beitritt 2001. Schweizer Weltmarktführer wie ABB, Nestlé oder Roche suchten in Shanghai zweistellige Wachstumsraten und öffneten dafür ihre Lobbykanäle in Bern. Umgekehrt entdeckte Peking die Eidgenossenschaft als Testfeld: klein genug, um schnelle Erfolge sichtbar zu machen, aber politisch bedeutend genug, um europaweit Signalwirkung zu entfalten. Vor allem das Instrument der Volksabstimmung wirkte verlockend: Beeinflusst man nur wenige Zehntausend Stimmberechtigte, kann man Gesetze lenken, die später ganze Branchen prägen.
Kapital als schwerstes Geschütz
Der sichtbarste Hebel ist Geld. Als ChemChina 2016 für 43 Milliarden US‑Dollar den Basler Agrarkonzern Syngenta übernahm, sah der Bundesrat keinen Grund zum Eingreifen. Heute streuen sich gut 1,5 Milliarden Franken chinesischer Direktinvestitionen strategisch über Robotik‑Start‑ups, Drohnenfertigung und Halbleitertechnik. Branchexperten berichten, preisliche Zurückhaltung spiele kaum eine Rolle – entscheidend sei der Technologietransfer. So kaufen chinesische Staatsfonds gezielt mittelgroße Weltmarktführer, deren Patente sich in den militärischen oder ernährungspolitischen Bedarf Pekings einfügen.
Die unsichtbare Lobby im Bundeshaus
Wo Kapital auf regulatorische Hürden stößt, folgt Lobbyarbeit. In Bern buhlen mehr als 6 000 akkreditierte Interessenvertreter um Zutrittspässe, unter ihnen Huawei Switzerland mit regelmässigen «Technologie‑Frühstücken». Noch wirkungsvoller agiert die Parlamentarische Gruppe Schweiz–China. Ihre Studienreisen verknüpfen Hochgeschwindigkeitszüge mit Banketten und höflicher Gesprächslenkung: Themen wie Xinjiang verschwinden, während die Gäste prunkvoll hofiert werden. Politologe Ralph Weber spricht von «Hospitality Capture» – ein Effekt, der spätere Abstimmungsbereitschaft dämpft.
Universitäten als kulturelle Brücke und Einfallstor
An den Universitäten Genf und Basel unterhalten Konfuzius‑Institute einen stetigen Kulturstrom, finanziert von Hanban. Verträge schreiben vor, die «Kerninteressen Chinas» zu respektieren – eine Chiffre für Tabuthemen. Andere Hochschulen verweigerten Institute, doch Gelder fließen weiter in bilaterale Labors. Ein Lausanner Batterieforscher erzählt, wie chinesische Partner zum Projektende umfassenden Datenzugriff einforderten, gedeckt von Klauseln, die lokale Juristen übersehen hatten.
WeChat, TikTok und der digitale Marktplatz
Hunderttausende in der Schweiz lebende Menschen chinesischer Herkunft organisieren ihren Alltag via WeChat. Die App funktioniert zugleich als Zensur‑Instrument: Konten tibetischer Aktivisten verschwinden, staatsnahe Inhalte dominieren. Schweizer Behörden, die dort Kanäle betreiben, übertragen ungewollt einen Teil ihrer Kommunikation unter chinesisches Recht. Auch TikTok sortiert politisches Material: Clips über Tibet‑Resolutionen verschwinden, während Erfolgsgeschichten des bilateralen Handels viral gehen.
Tourismus und Handel als Druckmittel
Vor der Pandemie reisten jährlich rund eine Million chinesische Gäste in die Schweiz. Als Bern 2023 strengere Halbleiterexportregeln beschloss, warnte die chinesische Botschaft, Reiseveranstalter könnten Destinationen «neu priorisieren». Buchungen brachen prompt ein. Ebenso subtil verzögert Peking Zollabfertigungen für Schweizer Produkte, sobald Menschenrechtskritik lauter wird – ein leises, aber wirksames Druckmittel.
Direkte Demokratie als offene Flanke
Die Schweizer Volksabstimmungen bieten ideale Angriffspunkte. In der Fernmeldegesetz‑Debatte 2019 finanzierten Wirtschaftsverbände, unter ihnen Huawei, Anzeigen gegen strengere 5G‑Auflagen. Die Beträge lagen unter der Deklarationsschwelle; die Herkunft vieler Mittel blieb im Dunkeln. Noch effektiver wirken Stellungnahmen im Konsultationsverfahren: Schriftstücke der chinesischen Handelskammer finden sich später fast wörtlich in Parlamentsberichten wieder.
Menschenrechte als Verhandlungsmasse
Seit 1991 trifft sich die Schweiz jährlich mit China zu einem Menschenrechtsdialog. Die offizielle Seite lobt den «offenen Austausch», doch Amnesty International erkennt keine Verbesserungen in Tibet oder Xinjiang. Heikel sind Besuche chinesischer Polizeiverbindungsoffiziere, denen diplomatische Immunität gewährt wird, während uigurische Exilfamilien in Bern vermehrt Drohungen erhalten.
Kommunale Sehnsucht nach Geld
Auch Kantone verlockt chinesisches Kapital. Nidwalden bot 2024 einem Konsortium Steuererleichterungen für einen «Smart Logistics Hub», bis eine Interpellation enthüllte, dass dessen Mutterfirma zur Militärlogistik gehörte. Luzern verzichtete auf einen geschenkten «Gong‑See der Freundschaft», nachdem Medien die Nähe der Stiftung zum United Front Work Department aufdeckten. Beide Fälle zeigen, wie dünn lokale Prüfmechanismen sind.
Gegenstrategien für die Schweiz
Ein verbindliches Lobbyregister fehlt. Die Volksinitiative «Offenes Bundeshaus» will Abhilfe schaffen, stößt jedoch auf Widerstand grosser Wirtschaftsverbände. Nur die ETH Zürich prüft Drittmittel systematisch; kleinere Hochschulen bräuchten ein nationales Gremium. Im digitalen Raum fehlt eine Meldepflicht für staatlich kontrollierte Apps, wie sie Australien eingeführt hat. Auf kantonaler Ebene ist kein Frühwarnsystem etabliert, um Eigentümerstrukturen ausländischer Investoren zu durchleuchten.
Blick über die Grenze
Deutschland verhinderte 2022 eine chinesische Chipwerk‑Übernahme, Österreich arbeitet an einem Sicherheitsgesetz für kritische Infrastruktur, und die EU plant ein «Anti‑Coercion Instrument». Bern könnte den europäischen Trend aufgreifen und selbst Pionier werden – wenn der politische Wille vorhanden ist.
Fazit: Ein Machtspiel auf offener Bühne
Chinas Einfluss in der Schweiz ist offen sichtbares Machtspiel, kein Geheimprojekt. Investitionen, Lobbyreisen, Kulturinstitute, digitale Plattformen und subtile Drohungen greifen ineinander und verschieben demokratische Prozesse. Die Schweiz bleibt ökonomisch auf Asien angewiesen, doch sie kann die Spielregeln setzen. Transparente Lobbylisten, strenge Investitionsprüfungen, digitale Wachsamkeit und ein mutiger Einsatz für Menschenrechte bilden den notwendigen Schutz. Ob Bern diesen Rahmen tatsächlich schafft, entscheidet, wie widerstandsfähig die älteste direkte Demokratie Europas in einer autoritären Weltordnung bleibt.
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