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Ein Schuss für die Ewigkeit

Dresdener Eislöwen gewinnen die DEL2

Dresdener Eislöwen gewinnen die DEL2

Am Dienstagabend, dem 29. April 2025, herrschte in der CHG-Arena von Ravensburg eine Atmosphäre, die jedes Attribut wie „elektrisierend“ oder „explosiv“ zu einer Untertreibung machte. 4.689 Zuschauer – darunter rund 150 lautstarke Anhänger aus Sachsen – brauchten 66 Spielminuten, um zu erleben, wie sich ein Stück Klub- und Ligen­geschichte vollendet: Tomas Sýkora lenkte in doppelter Überzahl einen Querpass von Drew LeBlanc hinter Ravensburgs Torhüter Ilja Sharipov und besiegelte den 2:1-Sieg der Dresdner Eislöwen im alles entscheidenden siebten Finale der DEL2-Play-offs. Dresdens Spieler warfen ihre Stöcke in die Höhe, Kapitän Travis Turnbull riss den Pokal in die Nachtluft, und in diesem Moment war endgültig klar, dass die sächsische Landeshauptstadt nach 29 Jahren wieder einen Klub in der höchsten deutschen Eishockeyliga stellt – während die Düsseldorfer EG, einst achtfacher Meister, den bitteren Gang in die Zweitklassigkeit antreten muss, weil Ravensburg mangels DEL-Lizenz nicht aufstiegsberechtigt gewesen wäre.

Das letzte Aufeinandertreffen glich einer Prüfung der Nerven. Die Towerstars schnürten die Gäste im ersten Drittel minuten­lang ein, doch Danny aus den Birken, Silber­medaillen­gewinner der Olympischen Spiele von Pyeongchang, parierte alles, was die Schwaben an Schüssen produzierten. „Ohne Danny stehen wir heute nicht hier“, bekannte Trainer Niklas Sundblad später, noch mit Bier getränkter Mütze. Erst als Verteidiger Bruno Riedl in Minute 22 einen Konter über Turnbull vollendete, kippte die Statik des Spiels. Robbie Czarnik glich zwar im Powerplay vier Minuten vor Schluss aus, doch in der Verlängerung zog Dresdens Special-Team einen regelrechten Belagerungs­ring um Sharipov – bis Sýkora die Scheibe wie ein Strich in den rechten Winkel nagelte.

Dieser Triumph beendet eine Durst­strecke, die aus Dresdner Sicht fast schon episch anmutet. Der Klub, 2005 aus der Oberliga in die zweite Liga aufgestiegen, hatte in den vergangenen Jahren oft kräftig an der DEL-Tür geklopft, war aber stets an sportlichen Details oder an den Lizenz­hürden gescheitert. Jetzt stürzen sich die Verantwortlichen um Geschäftsführer Maik Walsdorf in die Vorbereitung auf die „Mission Klassenerhalt“ im Oberhaus, wohl wissend, dass Kult-Goalie aus den Birken seinen Vertrag erfüllt hat und – wie er selbst lachend erklärte – „nicht mit hoch­gehen wird“.

Der Weg durch sechs dramatische Spiele

Der Weg zu diesem dramaturgisch nahezu perfekten Showdown war eine Achter­bahn. Ravensburg eröffnete die Serie am 17. April mit einem 4:2-Heim­sieg und setzte früh das Signal, dass der Außenseiter nicht nur Sparrings­partner sein wollte. Dresden schlug am 19. April mit einem 5:1 in der heimischen EnergieVerbund-Arena zurück, angetrieben von einem entfesselten zweiten Drittel mit vier Treffern binnen zwölf Minuten. Zwei Tage später entwendeten die Sachsen mit einem spektakulären 5:2 den Heimvorteil: Alle fünf Tore fielen im Schluss­abschnitt, Sebastian Gorcík traf doppelt, während Ravensburg in der eigenen Halle konsterniert wirkte.

Spiel 4 entwickelte sich zur wohl souveränsten Vorstellung der Eislöwen in diesen Play-offs. Ein 4:0 vor ausverkauften Rängen brachte die 3:1-Serienführung; Turnbull, Dane Fox und Riedl dominierten, während aus den Birken seinen ersten Shut-out der Finalrunde feierte. Doch wer glaubte, die Messe sei gelesen, unterschätzte den Kampf­geist der Towerstars. In Spiel 5 am 25. April lieferten beide Teams ein Scheibenschiessen, das selbst erfahrene Reporter sprachlos machte: Ravensburg siegte 7:4, Adam Payerl glänzte mit zwei Toren, Maximilian Hadraschek zauberte eine Bogen­lampe von hinter der Torlinie an aus den Birkens Hinterkopf ins Netz, und Dresden verpasste den ersten Matchpuck.

Zwei Tage später, zurück an der Elbe, witterten 4.800 Zuschauer die große Party. Fox traf nach 91 Sekunden, Turnbull legte in Überzahl nach, doch die Towerstars konterten mit einem Powerplay-Doppel­schlag von Mathew Santos und einem späten Schuss von Erik Karlsson. Als Nickolas Latta 14 Sekunden vor Schluss ins leere Tor zum 4:2 traf, türmten sich bei Dresden Zweifel auf, während Ravensburg den emotionalen Ausgleich befeierte.

Spiel 7: Nerven aus Stahl

So glich die Serie einem Pendel: 3:3, alles offen, Nervosität auf beiden Seiten. Ravensburg reiste mit dem psychologischen Rückenwind ins Entscheidungsspiel, Dresden mit dem historisch größerem Druck. „Spiel 7 ist das Traumspiel jedes Profis“, hatte Sundblad nach der sechsten Partie erklärt, wurde aber gefragt, ob sein Team die Nerven behalte. Genau das tat es – dank eines Torhüters im Endorphin­rausch, einer Defensive, die 18 Schüsse blockte, und einer Überzahl­formation, die ausgerechnet in der Verlängerung ihre Effizienz wiederfand.

Taktik, Tiefe und Torhüter

Auch taktisch bot die Serie Lehr­stoff. Dresdens Stärke lag in der Kadertiefe – sechs Stürmer punkteten zweistellig in den Play-offs – und in den rollenden Linien, die Sundblad früh im Spiel rotieren ließ, um das Tempo hoch­zuhalten. Ravensburg setzte dagegen auf ein hoch­aggressives Forechecking, das besonders in Spielen 5 und 6 Wirkung zeigte, weil es Dresdens Aufbau­spiel provozierte. Entscheidend wurde jedoch, dass die Eislöwen ihre Unterzahl­probleme von Spiel 6 analysierten und in Spiel 7 kein Gegentor bei eigener Strafzeit zuliessen; gleichzeitig nutzten sie das dritte Powerplay zur alles entscheidenden Szene.

Individuell stach Danny aus den Birken als Final-MVP hervor. Der 39-Jährige, der 2018 noch in DEL-Finals Titel holte, parierte in der Serie 93,4 Prozent der Schüsse und strahlte eine Ruhe aus, die seine Vorder­leute trug – selbst als Ravensburgs Robbie Czarnik in Spiel 7 den Ausgleich erzielte. Auf Seiten der Towerstars überzeugten Santos (acht Play-off-Treffer), Czarnik und Payerl, doch am Ende fehlten – neben der DEL-Lizenz – ein paar Zentimeter in der Chancen­verwertung.

Dresdens nächstes Kapitel im Oberhaus

Die sportliche Tragweite reicht über beide Klubs hinaus. Zum ersten Mal seit dem Rückzug der Lausitzer Füchse 1996 ist wieder eine Mannschaft aus Mitteldeutschland im Oberhaus vertreten; die DEL gewinnt einen Standort mit moderner Arena, treuer Fanbasis und medialer Strahlkraft in einer Fußball-verliebten Region. Gleich­zeitig verliert sie mit der DEG einen Traditions­klub, dessen Fans nun über Bundes­liga-Derbys gegen Köln oder Krefeld in der DEL2 hinweg­träumen müssen. In Düsseldorf stehen die neuen Geschäftsführer Andreas Niederberger und Rick Amann vor einem Umbruch nahezu ohne Vorlauf.

In Dresden beginnt ein Sommer der Weichen­stellungen. Die Lizenz gilt als Formsache, weil die Stadt bereits im Frühjahr eine Bürgschaft hinterlegt hat. Dennoch muss Sportdirektor Matthias Roos den DEL-Kader fast neu bauen: Aus den Birken hört auf, Turnbull wird wohl ins zweite Glied rücken, und auf den Import-Positionen erwarten die Fans neue Namen. Gleichzeitig will der Klub seine Nachwuchs­abteilung professionalisieren; denn das Ziel lautet, nicht nur aufzusteigen, sondern langfristig eine Marke zu werden, die Ostdeutschland im deutschen Spitzen­eishockey repräsentiert.

Der Absturz der Düsseldorfer EG

Am Rhein dagegen herrscht Kater­stimmung. Die Düsseldorfer EG, Gründungs­mitglied der DEL, verliert zum ersten Mal seit Ligain­stallation 1994 ihren Platz in der Eliteklasse. Der sportliche Abstieg war formal an den Ausgang der DEL2-Finals geknüpft, weil nur ein Meister mit gültiger DEL-Lizenz aufsteigen kann. Als Sýkoras Schuss einschlug, war die Rettungs­hoffnung der DEG vorbei. Während in Dresden Autokorsos die Elbe querten, begann in Düsseldorf der Wieder­aufbau – neuer Trainer, neues Team, alles binnen vier Monaten, wie Die Welt berichtet.

Ein Finale, das Geschichte schrieb

Die Finalserie selbst lieferte dem deutschen Eishockey ein dramaturgisches Meisterstück: zwölf Tage, sieben Spiele, 41 Tore, drei Auswärts-Siege, ein Shut-out und ein goldenes Tor in der Verlängerung. Die Towerstars bewiesen, dass die Lücke zwischen den Etat-Größen der DEL2 und den sogenannten Keller­kindern der DEL-Lizenz­prüfung sportlich zuweilen kaum messbar ist. Die Eislöwen wiederum unterstrichen, dass ein Aufstieg nicht allein finanziert, sondern vor allem erspielt werden muss – durch Tiefe, Geduld und in den Schlüsselmomenten durch Hand­gelenke wie das von Tomas Sýkora.

Als das Team in den frühen Morgenstunden vor dem Rudolf-Harbig-Stadion ankam, standen bereits tausende Menschen Spalier. Die Dresdner Stadt­glocken läuteten, Pyro­fackeln brannten, und der Mannschafts­bus bahnte sich einen Weg durch ein blau-weißes Fahnenmeer, das man sonst nur vom „Elb-Clasico“ im Fußball kennt. Goalie-Ikone aus den Birken stieg zuletzt aus, stellte den Pokal aufs Dach des Busses und sagte, halb scherzend, halb rührselig: „Ich habe in meiner Karriere viel gewonnen, aber das hier – das ist pure Poesie.“

Poesie – vielleicht trifft kein anderes Wort besser, was diese Finalserie hinterlassen hat: den Beweis, dass Sport noch immer Geschichten schreibt, die eine Stadt wachküssen, eine Liga in Bewegung setzen und selbst routinierte Journalisten dazu zwingen, die letzte Zeile mit einem Lächeln zu tippen. Dresden ist erstklassig. Düsseldorf startet neu. Und irgendwo in Ravensburg bleibt ein Echo hängen: das sirrende Geräusch eines Schusses in Minute 66, der mehr als ein Spiel entschied – er änderte die Landkarte des deutschen Eishockeys.