Wie robust sind die Stromnetze in Deutschland, der Schweiz und Österreich, wenn der Boom der Elektromobilität weitergeht – und droht dadurch tatsächlich ein Blackout?
Die Zahl der Elektroautos wächst in Mitteleuropa rasant. Anfang 2025 waren in Deutschland bereits rund 2,3 Millionen batterieelektrische und Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge zugelassen; die Bundesnetzagentur zählt über 160 000 öffentliche Ladepunkte mit zusammen gut sechs Gigawatt Leistung. Auch in der Schweiz und in Österreich kletterte der Elektro-Anteil an den Neuzulassungen 2024 auf rund ein Drittel. Damit stellt sich die Frage, ob die Netze der drei Länder die zusätzliche Last bewältigen können oder ob – wie manche Schlagzeilen suggerieren – ein großflächiger Stromausfall droht. Ein genauer Blick auf Daten der Netzbetreiber, aktuelle Studien und gesetzliche Vorgaben zeigt ein deutlich differenzierteres Bild.
Deutschlands Stromnetz – viel Puffer, aber lokale Engpässe
Das deutsche Übertragungsnetz wurde nach dem Atom- und Kohleausstieg in beispiellosem Tempo modernisiert. Laut dem Monitoringbericht der Bundesnetzagentur flossen 2024 rund 15 Milliarden Euro in neue Leitungen und Verstärkungen. Das Hochspannungsnetz gilt damit als grundsolide, zumal die Bruttostromerzeugung 2024 mit 431 Terawattstunden sogar leicht unter dem Vorjahreswert lag, während erneuerbare Energien fast 60 Prozent des Mix stellten.
Die eigentliche Herausforderung entsteht jedoch im Verteilnetz, wo die meisten Wallboxen angeschlossen sind. Szenarioanalysen der Bundesnetzagentur zeigen, dass bei unkoordiniertem Laden selbst mittlere Ortsnetztrafos um bis zu 40 Prozent überlastet würden, sobald Elektroautos einen Marktanteil von etwa 40 Prozent erreichen. Darauf reagierte der Gesetzgeber mit § 14a EnWG: Seit 1. Januar 2024 dürfen Netzbetreiber die Leistung neuer Wallboxen in Spitzenzeiten automatisch drosseln, um Trafostationen zu schützen. Erste Feldtests zeigen, dass diese Eingriffe bislang selten länger als zehn Minuten dauern und vor allem ländliche Niederspannungsnetze betreffen.
Parallel entstehen entlang der Autobahnen Schnelllade-Hubs, die direkt an das Hoch- oder sogar Höchstspannungsnetz angeschlossen werden. Das Regierungsprogramm „Power to the Road“ sieht bis 2028 rund 350 Standorte speziell für schwere E-Lkw vor. Größere Gleichstromanschlüsse solcher Hubs fließen inzwischen in die Planungen der Übertragungsnetzbetreiber ein, sodass laststarke Stationen nicht auf das empfindlichere Ortsnetz drücken. Entsprechend stuft die Bundesnetzagentur das Risiko eines landesweiten Stromausfalls weiterhin als „äußerst unwahrscheinlich“ ein.
Die Schweiz – kleinräumiges Netz, hohe Verfügbarkeit
Schweizweit betreibt Swissgrid ein 6 700 Kilometer langes Höchstspannungsnetz, dessen Verfügbarkeit 2024 bei 99,9 Prozent lag – trotz steigender Transitflüsse im europäischen Binnenmarkt. Der Netzbetreiber legte im Sommer 2024 sein „Zielnetz 2040“ vor, das den Zubau dezentraler Photovoltaik und einen Pkw-Elektroanteil von bis zu 60 Prozent berücksichtigt. Bis 2040 sollen knapp 14 Milliarden Franken in neue Leitungen, Umrichter und Flexibilitätsplattformen fließen.
Aktuell laden Schweizer E-Fahrer überwiegend zu Hause oder am Arbeitsplatz. Studien der Eidgenössischen Material- und Prüfungsanstalt (EMPA) zeigen, dass die Belastung einzelner Ortsnetze stark von der Tageszeit abhängt und durch zeitversetztes Laden um bis zu 70 Prozent reduziert werden kann. Kantone fördern deshalb „Smart Charging“ mit günstigeren Tarifen außerhalb der Abendspitze. Gleichzeitig erproben Städte wie Zürich Vehicle-to-Grid-Projekte, bei denen E-Autos kurzfristig Energie zurückspeisen, um Lastspitzen abzufedern.
Weil die Schweiz keine großflächigen Industrieballungen wie das Ruhrgebiet besitzt und Wasserkraftwerke Leistung sekundenschnell anpassen können, gilt das Risiko eines landesweiten Blackouts durch Elektromobilität als sehr gering. Entscheidend bleibt jedoch der Ausbau der Verteilnetze in suburbanen Neubaugebieten, wo Ladeinfrastruktur und Wärmepumpen oft gleichzeitig ans Netz gehen.
Österreich – Exportland mit Rekordinvestitionen
Österreich war 2024 an 243 Tagen Netto-Stromexporteur; erneuerbare Energien deckten gut 60 Prozent des Jahresverbrauchs. Der Übertragungsnetzbetreiber Austrian Power Grid (APG) erreicht eine technische Verfügbarkeit von 99,99 Prozent und verweist in seinem Netzentwicklungsplan 2023 auf den wachsenden Bedarf an 380-Kilovolt-Leitungen, um die Alpenregion stärker zu integrieren.
Eine Studie des Branchenverbandes „Oesterreichs Energie“ zeigt, dass selbst bei einem Bestand von zwei Millionen E-Autos im Jahr 2035 – rund 30 Prozent des Pkw-Bestands – der zusätzliche Strombedarf nur etwa zehn Terawattstunden betragen würde, also weniger als 15 Prozent der heutigen erneuerbaren Erzeugung. Allerdings müssten je nach Szenario bis zu 20 Prozent der Ortsnetztrafostationen verstärkt werden.
APG reagiert mit dem Projekt „Secure Central Region“, das zahlreiche Trafos in Ober- und Niederösterreich ersetzt und digitalisiert. Zudem etabliert der Regulator E-Control einen netzzentrierten Tarif, der Schnellladen während Mittagsspitzen verteuert und so das Ladeverhalten glättet.
Vergleich und Blackout-Risiko
Alle drei Länder verfügen über Netze mit weltweit führenden Zuverlässigkeitswerten. Die Übertragungsnetze halten aufgrund ihrer Dimensionierung und der europäischen Koppelleitungen selbst hohe Zusatzlasten aus, zumal der Mehrbedarf durch E-Autos moderat bleibt: Bei 15 Millionen E-Pkw in Deutschland kämen etwa 40 bis 50 Terawattstunden Jahresverbrauch hinzu – weniger als zehn Prozent der aktuellen Stromproduktion.
Kritischer sind die Niederspannungsnetze, denn dort kann schnelles, unkoordiniertes Laden örtlich zu Überlastungen führen. Die Länder setzen dabei auf unterschiedliche, aber einander ergänzende Maßnahmen:
- Deutschland: rechtlich verankertes Lastmanagement (§ 14a EnWG) und ein dichtes Schnellladenetz, das auf die Hoch- oder Höchstspannungsebene aufgeschaltet wird.
- Schweiz: marktorientierte Anreize mit variablen Tarifen, ergänzt durch Wasserkraft- und Batteriespeicher, die sekundenschnell Regelenergie bereitstellen.
- Österreich: gezielte Kapazitätsinvestitionen im Verteilnetz, Preissignale für Schnelllader und der beschleunigte 380-kV-Rundschluss.
Sofern diese Instrumente konsequent umgesetzt werden, halten Fachleute das Szenario eines nationalen Blackouts durch Elektromobilität für höchst unwahrscheinlich. Ein Blick nach Norwegen, wo der E-Auto-Anteil bereits bei über 80 Prozent der Neuzulassungen liegt, bestätigt: Netzprobleme sind primär lokal und lösbar, wenn Planung und Digitalisierung mithalten.
Ausblick
Kurzfristig werden Algorithmen für dynamische Netzampeln und Vehicle-to-Grid-Pilotanlagen das Zusammenspiel von Auto und Netz optimieren. Mittel- bis langfristig könnte eine Viertage-Tarifstruktur – also vier Zeitfenster pro Tag mit unterschiedlichen Preisen – das Laden weiter in günstige Stunden verschieben. Die Internationale Energieagentur rechnet zudem damit, dass bis 2030 mehr als 60 Prozent aller öffentlichen Säulen in Europa Schnelllader sein werden.
Entscheidend bleibt, dass Politik, Netzbetreiber und Autoindustrie ihre Investitionen synchronisieren. Dann bietet die Elektromobilität nicht nur saubere Mobilität, sondern auch einen riesigen, verteilten Stromspeicher, der Lastspitzen glätten und erneuerbare Überschüsse aufnehmen kann – statt das Netz zu gefährden. Das Stromnetz in Deutschland, der Schweiz und Österreich ist bereits heute besser vorbereitet, als viele glauben, und es wird mit jeder neuen Wallbox intelligenter.
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