Wie Inkompetenz Milliarden verbrennt und unser Land aufs Spiel setzt
Wenn Bürgerinnen und Bürger über «die Politik» schimpfen, meinen sie oft diesen einen, stets wiederkehrenden Missstand: Schlüsselpositionen werden an Menschen vergeben, denen das nötige Rüstzeug fehlt. Der britische «Mini-Budget»-Kollaps vom Herbst 2022 veranschaulicht das auf schmerzhafte Weise. Damals präsentierten Premierministerin Liz Truss und ihr neuer Schatzkanzler Kwasi Kwarteng ein kaum gegenfinanziertes Steuersenkungspaket. Anleger verkauften britische Staatsanleihen in Panik, die Renditen schossen in Höhen, die sonst nur Schwellenländer kennen, Pensionskassen drohten zu kollabieren und die Bank of England musste mit Notkäufen retten, was zu retten war. Binnen 44 Tagen war Truss Geschichte – ein Vorgang, den der US-Ökonom Larry Summers seither als warnendes „Liz-Truss-Moment“ bezeichnet.
Kompetenz zahlt sich aus – schwarz auf weiss
Dass Fachkenntnis an der Spitze eines Ressorts mehr als ein nettes Extra ist, belegen zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten. Der Ökonom Torsten Persson und sein Team werteten Lebensläufe von über tausend Staats- und Regierungschefs zwischen 1875 und 2004 aus und fanden einen eindeutigen Zusammenhang: Jedes zusätzliche Jahr formaler Bildung der Amtsinhaber steigerte das durchschnittliche Wirtschaftswachstum um bis zu 0,7 Prozentpunkte (Persson / Montalvo / Reynal-Querol). Eine Analyse des Thinktanks Brookings kommt zu einem ähnlichen Schluss: Wo Loyalität wichtiger ist als Fachkompetenz, sinkt die Effizienz der Verwaltung, Korruptionsanfälligkeit steigt und öffentlichen Haushalten entgehen Milliarden (Hudak / Wallack).
Wenn Unwissen regiert: Drei Fallstudien
Südafrika 2015
Präsident Jacob Zuma entliess den respektierten Finanzminister Nhlanhla Nene und ersetzte ihn durch den politisch loyalen, aber unerfahrenen Backbencher David van Rooyen. Innerhalb von 72 Stunden verlor der Rand zweistellig, die Börse stürzte ab und Ratingagenturen drohten mit „Ramsch-Status“. Der öffentliche Druck war so gross, dass Zuma zurückruderte und einen erfahrenen Banker einsetzte. Doch der Imageschaden war da, die Kapitalkosten des Landes blieben dauerhaft höher (Moody’s, Standard & Poor’s).
Brasilien 2020/21
Mitten in der Corona-Pandemie setzte Präsident Jair Bolsonaro den aktiven General Eduardo Pazuello als Gesundheitsminister ein – einen Logistiker ohne medizinische Ausbildung. Unter seiner Führung verfehlte das Land Impfstoff- und Sauerstoffbestellungen, die Todeszahlen explodierten und Brasiliens Wirtschaft brach 2020 um fast vier Prozent ein. Ökonomen des Getúlio-Vargas-Instituts führen einen Teil des Einbruchs direkt auf die Fehlsteuerung des Gesundheitsressorts zurück.
Grossbritannien 2022
Das eingangs erwähnte Mini-Budget traf auf eine Ministerin und einen Kanzler, deren eigene Partei ihnen fehlende Tiefe in Finanz- und Steuerfragen vorwarf. Binnen weniger Tage stiegen Hypothekenraten, Immobilienverkäufe wurden gestoppt, und der Internationale Währungsfonds mahnte ungewöhnlich scharf. Das Resultat: der kürzeste Premierminister-Job in der modernen Geschichte des Vereinigten Königreichs (Institute for Government).
Systemischer Schaden statt Einzelfehler
Solche Episoden sind kein unvermeidlicher Betriebsunfall, sondern Symptom eines strukturellen Problems. Politikerinnen und Politiker ohne fachliche Eignung erzeugen mindestens vier Arten von Folgekosten:
- Marktvolatilität. Investoren bewerten Unsicherheit in Echtzeit. Ein unerwarteter Personalgriff kann Staatsanleihen in Minuten abstürzen lassen, was die Kreditkosten für Jahre erhöht.
- Verwaltungsstau. Fachbeamte wenden sich ab, wenn ihre Expertise ignoriert wird. Studien der Universität Harvard zeigen, dass die Fluktuation in Fachabteilungen nach politisch motivierten Umbesetzungen sprunghaft steigt.
- Reformabbrüche. Ein Ressortchef ohne inhaltliche Tiefe scheut komplexe, längerfristige Projekte. Halb umgesetzte Reformen kosten Geld, bringen aber keinen Nutzen – sichtbar bei Energiestrategien, die mit jedem Ministerwechsel neu aufgerollt werden.
- Vertrauensverlust. Bürger gewöhnen sich rasch an die Vorstellung, dass Qualifikation in der Politik nichts zählt. Einer Eurobarometer-Umfrage zufolge sinkt das Vertrauen in nationale Institutionen um bis zu zehn Prozentpunkte, wenn Ministerposten offensichtlich parteipolitisch statt nach Kompetenz vergeben werden (Eurobarometer).
Das Gegenargument: „Politik ist kein Fachberuf“
Oft wird erwidert, ein Ministerium müsse politisch steuern, nicht selbst fachlich operieren; dafür gebe es Staatssekretäre und Referenten. Das war in einer Welt langsamer Entscheidungszyklen vielleicht plausibel. Doch moderne Finanz-, Gesundheits- und Klimapolitik verlangt Entscheidungen im Stundentakt, abgestützt auf Zahlen, die ein Laie kaum deuten kann. Wenn Spitzenpersonal diese Daten nicht versteht, ist es gezwungen, sich auf Dritte zu verlassen – Lobbyisten, interessengeleitete Berater oder schlicht den Zufall.
Ein Blick auf die europäische Zentralbank zeigt das Gegenteil: Fast alle EZB-Direktoriumsmitglieder verfügen über eine Promotion in Ökonomie oder Jura. Ergebnis: Die Institution geniesst trotz umstrittener Programme wie Quantitative Easing hohe Glaubwürdigkeit an den Märkten (European Central Bank).
Internationale Praxis formaler Qualifikationsanforderungen
- Italien schreibt für den Posten des Chefs der Antikorruptionsbehörde seit 2012 zehn Jahre einschlägige Berufserfahrung vor.
- Kanada verlangt für das Amt des Chief Public Health Officer ein abgeschlossenes Studium der Medizin sowie eine Zulassung als Arzt.
- Singapur setzt bei Staatsfonds-Managern staatlich geprüfte Zertifizierungen voraus, vergleichbar mit dem CFA-Titel.
Solche Vorgaben braucht es nicht in jedem Ressort. Doch bei Finanzen, Wirtschaft, Gesundheit, Verteidigung und Innenministerium – Ressorts also, deren Fehlentscheidungen das ganze Land destabilisieren – wirken Mindeststandards wie eine Versicherung gegen Fahrlässigkeit.
Was ein Qualifikationsgebot leisten könnte
Ein gesetzlich verankerter Eignungskatalog könnte mehrstufig sein:
- Formaler Abschluss oder Berufspraxis. Ein abgeschlossenes Studium in Volks- oder Betriebswirtschaft für das Finanzressort – oder alternativ nachweislich zehn Jahre Führungserfahrung in einer öffentlich beaufsichtigten Finanzinstitution.
- Öffentliche Hearings. Unabhängige Fachverbände und Parlamentsausschüsse prüfen die Kandidaten, ähnlich den Anhörungen für Verfassungsrichter in den USA.
- Fortbildungspflicht. Wer im Amt bleibt, muss sich regelmässig zertifizieren lassen – ein Verfahren, das in der Luftfahrt seit Jahrzehnten gelebte Routine ist.
Ein solcher Rahmen würde den demokratischen Grundsatz der freien Wahl nicht verletzen. Bürgerinnen und Bürger könnten jeden Kandidaten wählen; erst bei der Ressortzuteilung greift die Qualifikationsprüfung. Das ist vergleichbar mit der Altersgrenze für das Amt des Bundespräsidenten oder den Eid auf das Grundgesetz.
Warum Selbstregulierung nicht reicht
Parteien verweisen gern auf hausinterne Talentschmieden und Assessment-Center. Doch Parteikalkül ist oft mächtiger als objektive Kompetenz. Eine Studie des Londoner Good Governance-Instituts belegt, dass in Koalitionsverhandlungen Ministerposten in 78 Prozent der Fälle parteipolitische Verhandlungsmasse sind. Die Folge: hohe Fluktuation (in Italien durchschnittlich 22 Monate Amtszeit), fehlende Kontinuität und ein ständiger Know-how-Verlust.
Wirtschaftliche Folgekosten in Zahlen
Ökonomische Modellrechnungen der Universität Zürich beziffern den „Kompetenzabschlag“: Wird ein Finanzministerium von einer fachfremden Person geführt, steigen die langfristigen Kapitalkosten um durchschnittlich 40 Basispunkte. Für ein Land wie Deutschland entspricht das Mehrkosten von rund fünf Milliarden Euro pro Jahr. Im Gesundheitsbereich schätzt die OECD, dass Fehlsteuerung durch unqualifizierte Minister jährlich drei bis fünf Prozent der Gesamtausgaben verschlingt – Geld, das in Prävention oder Forschung fehlt.
Demokratie braucht Fachwissen, um handlungsfähig zu bleiben
Führungspositionen an der Staatsspitze sind keine gewöhnlichen Jobs; sie entscheiden über die Sicherheit, den Wohlstand und manchmal das Leben von Millionen. Gerade weil Demokratie allen den Zugang zur Macht eröffnen will, muss sie dort, wo Fachwissen buchstäblich lebenswichtig ist, zusätzliche Schutzgeländer installieren. Ein Chirurg darf ohne Approbation keinen Skalpellstich setzen, ein Pilot ohne Type Rating keine Passagiermaschine fliegen. Warum sollte ein Gesundheits- oder Finanzminister ohne fundierte Kenntnisse das gesamte System steuern dürfen?
Realistische Schritte nach vorn
- Transparenz sofort: Parteien veröffentlichen vor der Ernennung den vollständigen Werdegang der Kandidaten, inklusive relevanter Prüfungen und Publikationen.
- Gesetzliche Mindeststandards mittelfristig: Ein Ministergesetz definiert für sicherheits- und existenzrelevante Ressorts klare Eignungskriterien, abgestuft nach Ausbildung oder Expertenpraxis.
- Politische Bildung langfristig: Schulen und Medien betonen stärker, dass Kompetenz Wahlentscheidungen beeinflussen sollte – nicht nur Parteifarbe oder charismatische Auftritte.
Skandinavische Länder machen vor, dass das funktioniert. In Schweden, Norwegen und Dänemark haben Gesundheits- und Finanzminister häufig Doktortitel oder langjährige Branchenerfahrung. Die Folge ist ein hohes Mass an institutionellem Vertrauen, niedrige Korruptionswerte und bemerkenswerte Krisenresilienz, wie die Finanzkrise 2008 und die Pandemie gezeigt haben (Transparency International, World Bank).
Schlusswort
Ein Land kann sich die Illusion unbedarfter Entscheider immer weniger leisten. Die Fallstudien aus Grossbritannien, Südafrika und Brasilien verdeutlichen, dass politisch motivierte Fehlbesetzungen binnen Stunden Milliarden vernichten, Vertrauen erodieren lassen und langfristig Wachstum kosten. Die Forschung untermauert, dass gut ausgebildete und erfahrene Führungskräfte bessere Entscheidungen treffen, Innovation fördern und institutionelle Stabilität schützen. Darum ist es höchste Zeit, das Prinzip der beruflichen Qualifikation – das für Elektriker, Pilotinnen und Chirurgen längst gilt – auch auf Ministerien auszudehnen. Es wäre ein Akt wirtschaftlicher Vernunft und demokratischer Selbstachtung zugleich.
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VOLKS-MACHT PUR!